Sich führen lassen

Sich führen lassen & geführt werden

Appelle an Mitarbeiter/innen für gutes „Sich führen lassen“ in einer neuen Arbeitswelt

In einer hierarchisch geprägten Arbeitswelt, in der jeder seinen Platz kennt, ist das „Sich führen lassen“ oft kein Thema. Wer oben ist führt — wer unten ist, muss sich führen lassen (ob er oder sie will oder nicht).

sich führen lassen - SL Beziehungsarbeit

In der neuen Arbeitswelt ist dieses Führungsverständnis immer weniger üblich, weil sich klassische Rollenverteilungen durch Marktdynamik und Komplexität zunehmend schwerer rechtfertigen lassen. Zugeständnisse bei der Machtverteilung sind nun notwendig, will man die Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährden. Mitarbeiter erhalten daher zunehmend mehr Einfluss.

Dazu muss seitens der Mitarbeiter/innen Verantwortung übernommen werden — nicht nur für fachlichen Belange, sondern auch für die Gestaltung sozialer Prozesse, z.B. um Macht und Einfluss neu zu regeln. Das berührt die Beziehungen zwischen den Unternehmensangehörigen und stellt die Beziehungsarbeit aller Beteiligten auf ein neues Fundament. Dieser Artikel formuliert Appelle an Mitarbeiter/innen, damit gute Führung nicht an ihre Grenzen (Artikel vom Feb. 2014) stößt.

sich führen lassen - SL Beziehungsarbeit

Gute Führung gelingt nicht ohne gutes „Sich führen lassen“.

 

Die „Sich führen lassen“-Kompetenz

Durch die Veränderung von Macht und Einfluss in Management-, Service- und Wertschöpfungsprozessen müssen Geschäftsleitungen Einzel-, Gruppen- und Unternehmensinteressen neu aufeinander ausrichten. Das verlangt nicht nur eine aktive Prozesssteuerung, sondern sowohl reife und autonome Beteiligte als auch die Veränderung der Einstellung bei allen Beteiligten:

sich führen lassen - SL Beziehungsarbeit

MA = Mitarbeiter , FK = Führungskraft

Vier Kompetenzfelder unterliegen der Änderung, soll das „Sich führen lassen“ verbessert werden:

  1. Selbsterkenntnis
  2. Sozialkompetenz
  3. Die Geschäftsleitung verstehen
  4. Das Geschäft verstehen

Damit die Veränderung zu einem besseren „Sich führen lassen„ gelingt, werden nachfolgend 11 Appelle an Mitarbeiter/innen und Führungskräfte formuliert, denen zugleich Selbsterkenntnisse zugeordnet sind. Diese ergeben sich aus dem dazugehörigen Reifungsprozess hin zur grünen Werte-Ebene, von der die neue Arbeitswelt getragen wird.

 

Appell 1 — Reflektiere die eigene Rolle!

Selbsterkenntnis: Was ist meine Rolle als Mitarbeiter/in?

Bin ich so weit gereift, dass mir klar ist, dass ich im Arbeitsleben oft verschiedene Rollen einnehme? Was ist meine wichtigste Rolle zurzeit? Welche Erwartungen werden in dieser Rolle an mich gestellt? Und kann ich Ihnen gerecht werden?

Gute Führung gibt es nur, wenn ich als Mitarbeiter/in so mitmache, dass eine Führungskraft mich einzuschätzen weiß. Der Ruf nach mehr Vertrauen ist gerechtfertigt, wenn ich auch selbst bereit bin, mehr Verantwortung zu übernehmen. Will ich das?

Selbständig zu arbeiten bedeutet, sich innerlich nicht länger vom Lob einer Führungskraft abhängig zu machen. Für wen also arbeite ich? Für mich, den Chef oder die Chefin? — Klar: Statt Lob wäre Anerkennung schön, aber aus innerlicher Unabhängigkeit heraus.

Transparenz zu fordern ist dann sinnvoll, wenn ich bereit bin, mehr gesamtunternehmerische Verantwortung zu übernehmen. Kann ich das? Will ich das? Darf ich das?

Habe ich Antworten auf diese Fragen, gebe ich mich nach außen hin spezifischer und kann durch eine Führungskraft einfacher und wirksamer angestoßen, eingesetzt und geleitet werden.

 

Appell 2 — Finde Dein eigenes Thema!

Selbsterkenntnis: Was treibt mich an?

Nur Sie selbst können sich motivieren! Sonst niemand! Andere können „lediglich“ dafür sorgen, dass Ihre Motivation eingeschränkt, vielleicht sogar zugeschüttet wird. Andere werden vielleicht helfen, Demotivationsgründe wieder zu beseitigen, aber es bleibt dabei: Nur Sie wissen, wie Sie motiviert sind. Was uns in Bewegung (lat. movere = bewegen) setzt sind u.a. die Dinge, die uns wichtig und wert sind. Was also sind Ihre Werte, für die Sie sich einsetzen werden? Daraus lässt sich Ihr persönliches (Lebens-)Thema ableiten, für das Sie sich einsetzen und über das Sie publizieren, wie davon auch abhängt, welcher Arbeit und Berufung Sie nachgehen wollen. Dadurch werden Sie besser führbar.

 

Appell 3 — Korrigiere Deine Entscheidungen!

Selbsterkenntnis: Es gibt keine falschen Entscheidungen.

Schlimmer als eine falsche Entscheidung zu treffen, ist keine Entscheidung zu treffen. Je mehr Entscheidungen desto besser. Wie ist das gemeint? Der Unterschied zw. erfolgreichen und weniger erfolgreichen Menschen ist oft, dass erfolgreiche Menschen falsche Entscheidungen schneller und häufiger korrigieren, um zum Ziel zu kommen oder die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Natürlich kommt es darauf an, dabei berechenbar und glaubwürdig zu bleiben. Ihnen gelingt das „Sich führen lassen“ jedenfalls besser.

 

Appell 4 — Finde heraus, was Du nicht kannst!

Selbsterkenntnis: Ich kann bestimmte Dinge nicht. Na, und?

Es braucht sehr viel Erfahrung, um herauszufinden, was man nicht kann. Wie sollte es auch anders sein? Wer keine Erfahrung hat, weiß auch nicht viel. Wer nicht viel weiß, weiß auch nicht, was er nicht weiß. Daher wäre es gut, Herausforderungen anzunehmen, um Erfahrungen zu sammeln bezüglich

  • Fach-, Orientierungs- und Handlungswissen
  • sich führen lassen
  • geführt werden
  • selbst führen

Weil es nicht leicht ist, sich selbst objektiv zu beurteilen, ist man auf Rückmeldung Dritter angewiesen. Die Rückmeldung ist umso einfacher zu ertragen, wenn Sie diese aktiv einholen und das Feedback sozial kompetent gegeben wird. Das „Sich führen lassen“ gelingt besser, wenn Sie dort eingesetzt werden, wo auch ihre Kompetenzen liegen. Gehen Sie daher offen mit Ihrem Nicht-Können um. Es werden sich Kollegen finden, die Sie perfekt ergänzen.

 

Appell 5 — Entwickle Deine persönliche Arbeitstechnik!

Selbsterkenntnis: Ich gehe Arbeit anders an als andere.

Sich führen lassen gelingt besser, wenn ich weiß, welche ganz persönlichen Arbeits-, Lern- und Denktechniken ich mir angeeignet habe. So kann mich meine Führungskraft viel besser anleiten, Erwartungen an mich besser formulieren und mich gezielter unterstützen.

  1. Ich sollte also herausfinden, wie ich wirklich genau arbeite, denke und ticke und wie nicht. Das setzt allerdings voraus, wirklich ehrlich mit sich selbst zu sein: Bin ich unordentlich, benötige ich Arbeitstechniken für Unordentliche und nicht für Ordnungsfanatiker.
  2. Machen Sie sich klar, welche Form von Belohnung Sie durch Ihre spezifische Arbeitsweise erreichen wollen: mehr Zeit, weniger Stress, Leichtigkeit, Finesse, Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Vorbildcharakter, …
  3. Ist Ihnen die Belohnung bewusst, die sie sich selbst erarbeiten können, so benötigen Sie noch Disziplin, um sie tatsächlich auch zu realisieren. Ohne Disziplin geht es kaum.

 

Appel 6 — Gehe Konflikte offen an!

Selbsterkenntnis: Wie gehe ich mit Konflikten um?

Jeder, der unter einem Konflikt leidet, sollte ihn im eigenen Interesse frühzeitig, offen und ehrlich benennen — egal ob es sich um einen Sach-, Verteilungs-, Bewertungs-, Werte- oder Beziehungskonflikt handelt. Das erfordert Empathie, Mut und Robustheit. Ich kann mich umso besser führen lassen, je transparenter ich mich selbst verhalte. Das geführt werden, wird sonst wirklich schwierig. Deswegen gilt:

  • Den Standpunkt des anderen kennenlernen wollen, aber auch dessen Motive, Interessen, Denk- und Urteilsweisen.
  • Willens sein, sich in die Lösungsfindung aktiv einzubringen.
  • Sich Hilfe zu holen ist keine Schande.

 

Appell 7 — Reflektiere Konsequenzen & Mehrwert Deines Handelns!

Selbsterkenntnis: Welche Konsequenzen hat mein Handeln?

Die Frage könnte auch lauten, worin der Nutzen meiner Arbeit in Bezug auf das Gemeinwohl für Abteilung und Unternehmen liegt bzw. welche Handlungsalternative mehr Nutzen erzeugt. Ein guter Gradmesser für die Beantwortung dieser Frage ist, welche finanziellen Konsequenzen das eigene Handeln hat, wenn sich alle so verhielten. Auch zu beachten: Welches Image haben wir dadurch beim Kunden in Bezug auf dessen eigene, aber auch in Bezug auf ökologische Bedürfnisse (Externalisierung von Transaktionskosten).

Manchmal gelingt die Reflexion nur durch die Schaffung von Distanz, nämlich dadurch, dass ich z.B. von der Führung zurücktrete und übertrete ins „Sich führen lassen“. So gewinne ich Abstand und kann mein eigenes Handeln am Führungshandeln meiner Nachfolger messen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann ich die Erkenntnisse der Reflexion in eine neue Führungsrolle einbringen. Die neue Arbeitswelt macht’s möglich.

 

Appell 8 — Betreibe Beziehungspflege!

Selbsterkenntnis: Arbeitsbeziehungen brauchen mehr als nur Fachexpertise.

Smalltalk und Dialog sind wichtig. Sie entspringen der Neugier und echtem Interesse, und sie ermöglichen Austausch über soziale Aspekte wie Werte, Vorlieben, Beziehungen, Ansichten, Einstellungen, Meinungsbildung, Politik, Demokratie usw. Diese Art von Beziehungsarbeit vertieft Beziehungen, fördert das Verständnis von Denkweisen und produziert Nähe und Verständnis über den Arbeitsalltag hinaus. Das fördert Empathie und Sozialkompetenz. Das wirtschaftliche und soziale Ganze im Unternehmen wird gefördert.

 

Appell 9 — Habe den Mut, Initiative zu ergreifen!

Selbsterkenntnis: Lieber um Verzeihung bitten als um Erlaubnis.

Die neue Arbeitswelt bietet mehr Fehlertoleranz, mit einer dezentraleren Arbeitsorganisation mehr Handlungsspielraum und die Gelegenheit zur Übernahme von Verantwortung. Oft sind für die Kunden schnelle und unkomplizierte Lösungen erforderlich, ohne dass dafür eine explizite Erlaubnis vorliegt. Gefragt sind Mitarbeiter/innen und Führungskräfte, die gute Ideen haben und mutig Initiative ergreifen. Selbstverständlich kann auch einmal etwas schief laufen, aber wer sagt, dass das nicht auch mit Erlaubnis passiert? Wenn eine Lösung zum Wohl des Kunden beiträgt, so doch auch zum Wohl des Unternehmens. Sollte das mal nicht der Fall sein, kann man immer noch um Verzeihung bitten. Diese Strategie fördert das Lernen, macht selbständiger und erfolgreicher. In Bezug auf Kunden- und Lösungsorientierung lassen sich mutige Mitarbeiter besser führen. Sie sind allerdings auch anspruchsvoll.

 

Appell 10 — Akzeptiere Kritik!

Selbsterkenntnis: Es wird wohl einen guten Grund geben.

Kritik erscheint besonders heftig, wenn sie unsere Grundüberzeugungen erschüttert. Egal wie feinfühlig der Kritiker vorgeht, es scheint nicht konstruktiv zu sein. Doch die Frage ist, wie kommt es dazu, dass Kritik überhaupt geäußert wird? Offenbar hat man selbst dazu Anlass gegeben. Was also ist der eigene Anteil daran, dass ich kritisiert wurde? Kritik kann man ablehnen, aber erst, wenn man sich diese Frage gestellt hat und eine Weile (vielleicht ein paar Tage) darüber nachgedacht hat. Kritikfähige Mitarbeiter haben es einfacher beim „Sich führen lassen“.

 

Appell 11 — Organisiere Deine Informationen!

Selbsterkenntnis: Für Stress durch Info-Flut bin ich selbst verantwortlich.

Stress entsteht dadurch, dass man seine Arbeit nicht schafft. Die Gründe dafür liegen oft in der eigenen Verantwortung, z.B. Mail-Inbox: zu viele Social-Media-Nachrichten, zu viele Newsletter, keine Strategie für „Ablage P“ und „Junk“, Antworten auf jede cc-Mail, Mails als Beweisstücke für jeden Kleinkram zur Rechtfertigung vor dem Chef oder der Chefin usw. Das alles kann Sie daran hindern, zu den wirklich wichtigen Dingen zu kommen. Mitarbeiter/innen, die das im Griff haben, lassen sich besser führen.

 

Fazit

Wie Sie sehen, ist Selbsterkenntnis Ausgangspunkt jeder Selbstentwicklung hin zu einem verbesserten „Sich führen lassen“. Beherzigen Sie die Appelle, geben Sie sich nach außen hin zunehmend spezifischer. Ihre Führungskraft kann Sie wirksamer anstoßen, einsetzen und leiten.

Die folgende Grafik zeigt den Zusammenhang:

  • Die linke blaue Seite stellt eine Person dar, die durch Rückmeldung (Feedback), Rückkopplung und eigene Wirksamkeit Erkenntnisse über sich selbst gewinnt. Sozial- und Methodenkompetenz, aber auch andere Aspekte (siehe Selbstentwicklung), entwickeln sich.
  • Die rechte grüne Seite ist das Umfeld, an dem die Selbsterkenntnisse durch Begegnung mit der Führungskraft und dem Geschäftsmodell gewonnen werden.

Dazu passend angeordnet finden sich jeweils die grau eingefärbten Symbole zu den Organisationsfeldern und den Bausteinen wirksamer Beziehungsarbeit, die durch die Grafik thematisiert werden.

sich führen lassen - SL Organisationsentwicklung

Insgesamt ergibt sich folgendes Fazit:

  • Ein besseres „Sich führen lassen“ ist persönlich mit schmerzlichem Feedback und entsprechenden Veränderungen verbunden.
  • Die Selbstentwicklung macht Sie selbstbewusster und damit für unerfahrene Führungskräfte oft sperrig.
  • Erfahrene Führungskräfte wissen aber, dass in der neuen Arbeitswelt selbständige Mitarbeiter benötigt werden. Diese sind zwar anspruchsvoll, lassen sich aber in der neuen Arbeitswelt, geprägt von Unsicherheit und unstrukturierten Aufgaben, besser einsetzen.
  • Durch den Weg hin zu einem besseren „Sich führen lassen“ machen Sie Erfahrungen, die auch Führungskräfte gemacht haben. Das schafft Nähe und ein gemeinsames Verständnis.
  • Je selbständiger Sie sind, desto erfolgreicher wird Ihre Problembewältigung und desto mehr Vertrauen wird Ihnen für umfassendere Aufgaben entgegengebracht.
  • Je selbständiger und vertrauenswürdiger Sie sind, desto mehr positiven Einfluss können Sie bewusst oder unbewusst auf Ihre Führungskraft ausüben. So können Sie Ihren Chef oder Chefin leichter erziehen.
  • Ein bewusst verbessertes „Sich führen lassen“ hat viel mit guter Selbstführung zu tun und erhöht die Kompatibilität für spätere Führungsaufgaben. Bestenfalls entwickelt man sich selbst zu einem Rollenvorbild.

Führen Sie sich Ihren Reifungsprozess immer wieder vor Augen und trauen Sie diesen Weg auch ihren Kollegen und Mitarbeitern zu.

 

Noch ein paar Tipps zum Schluss

  • Nehmen Sie die oben genannten Appelle und konfrontieren Sie Ihre Mitarbeiter/innen damit. Tun sie das aber bitte nicht zwischen Tür und Angel, sondern in einem ernsthaften und seriösen Rahmen, z.B. als Teil der gezielten Mitarbeiterentwicklung.
  • Konkret bieten sich die oben genannten Appelle zur Verwendung im Mitarbeiterdialog an, denn genau das will der Mitarbeiterdialog: Er klärt die Frage, wie der einzelne Mitarbeiter zusammen mit dem Team und der Führungskraft einen Beitrag zu erfolgreichen Umsetzung des Geschäftsmodells leisten kann. Die Appelle können als Gesprächsgrundlage dienen.
  • Zur Vertiefung können Sie gerne den dazugehörigen Podcast von ManagerSeminare anhören, an den sich dieser Artikel anlehnt.

 

Was wir für Sie tun können

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Sven Löbel
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